"Manchmal weiß ich aber ganz genau, was ich malen will. Dann bin ich eins mit dem Pinsel, es entsteht eine Symbiose. Mein Herz schlägt auf der Spitze des Pinsels und die Farben geben zu diesem Herzschlag die Ausdrucksform.

So entstehen meine Bilder"

Dr. Nurhan Sidal

Über die Künstlerin

"Nurhan Sidal ist eine außergewöhnliche Künstlerin. Sie hat den Blick für das Wesen der Dinge. Das Fragen und das Staunen, das von so zentraler Bedeutung ist für das menschliche Denken und Sein, ist bei ihr nicht in einen Dornröschenschlaf versunken wie bei so vielen anderen Zeitgenossen des späten 20. und des 21. Jahrhunderts. Ihr Denken, Fühlen und ihre Sicht der Dinge sind von der islamischen Welt genauso beeinflusst wie von der westlichen Kultur, in ihrem menschlichen Handeln versucht sie immer wieder Brücken zu bauen und auf Gemeinsamkeiten und gemeinsame Wurzeln dieser Welten hinzuweisen.

All das findet denn auch Einfluss in ihre Malerei. Ob Aquarell, Acryl, Öl oder jene Bilder, in denen sie – den Anstoß gab eine schwere Krankheit – Eigenblut verarbeitet: es sind metaphysische Dimensionen, die sie durchstreift, ihr Blick geht vom Makrokosmos zum Mikrokosmos und umgekehrt. Von der atomaren Struktur zur kosmischen, vom Blutkreislauf des Körpers zu den wunderbaren Kreisläufen auf dieser Erde. Und über das Bildnis eines Derwischs etwa dringt Nurhan Sidal vor bis in die Mystik, die sich dem rationalen Denken entzieht.

Die Künstlerin will nicht zuletzt Denk-Anstöße geben, will den Blick des Betrachters öffnen, ihn inspirieren, ihn mitfühlen lassen, ihn sensibilisieren für Gesamtzusammenhänge und das Wesentliche. Und dazu offenbart sie in ihren Bildern auch einen Teil von sich selbst."

Alfred Thiele
Freier Redakteur i.R.
2009


"Schon als Kind, so erfuhr ich, hat sie sich dafür interessiert, wie man ein Gefühl, einen Gedanken anders ausdrücken könne als nur durch Sprechen. Ausschlaggebend war ein Buch, das ihr Vater, als sie 4 Jahre alt war, ihr vorgelesen hatte: "Paul und Virginie" – Autor: J.H. Bernardin de Saint-Pierre, erschienen 1789 am Vorabend der französischen Revolution.

[...]

Die ersten Kurzgeschichten und Gedichte schrieb sie mit 7. Mit 12 begann sie, in Istanbul bei einem Kindertheater mitzuspielen und als die Eltern nach 2 Jahren mitbekamen, dass es ihr ernst war mit dem Schauspielern, machten sie Theater und verboten es ihr. Ihre Mutter bestand darauf, dass sie später einen richtigen Beruf erlernen sollte, aber bitte schön nicht "Bauchtänzerin".

Mit 15 hatte Nurhan am Gymnasium Kunst als Wahlunterricht genommen. Irgendwann kam sie mit einem Bild nach Hause, das sie gerade machen musste. Ihr Vater kritisierte und sagte: "Das ist nicht gut!" "Mal doch selbst, wenn du es besser kannst", war ihre Antwort und sie verschwand schmollend. Als sie wieder nach Hause kam, war das Bild verbessert und zum Schrecken von Nurhan auch noch gut. "Wie er malt, so gut bin ich nicht", dachte sie. Das war der Startschuss für ihren Vater mit der Malerei zu beginnen, wobei er vorher noch nie einen Pinsel in die Hand genommen hatte. Und für sie das vorläufige Ende. Sie packte ihren Pinsel ein und malte nicht mehr.

[...]

1995 kommt der heftige Anschlag. Eine Krankheit, die ihr bis heute anhaftet und mit der sie sich inzwischen arrangiert hat, als Wegbegleiter, um die Höhen und Tiefen des Lebens zu erfahren. Diesseits und Jenseits.

Wenn es darum geht, Erkenntnisgrenzen zu überschreiten, scheint Nurhan nicht gerade ängstlich zu sein. 2005 macht sie in der Südtürkei einen Tandemflug mit; von einem etwa 2000 Meter hohen Berg "Babadag" in der Nähe von Fethiye. Über dem Meer entlang der Küste verspürt sie ein unbeschreibliches Glücks- und Freiheitsgefühl und sie sieht die Welt aus der Vogelperspektive. Sie erkennt, dass das Kleine sich im Großen wiederholt. Bilder aus der Vogelperspektive folgen. Ebenso die Bilder, die Ähnlichkeit zwischen Makro- und Mikrokosmos, dem Körperinneren und dem All darstellen. Während des Fluges stellt sie sich die Frage: "Warum bin ich eigentlich Zahnärztin geworden?" Die Antwort steht noch aus.

2007 entstehen die ersten Bilder mit eigenem Blut."

Peter Ruge
Karikaturist
Anlässlich zur Eröffnung der Ausstellung Blickwinkel am 19.07.2009


"Nurhan Sidal, ihr ethischer, geistig-philosophischer Hintergrund kommt in den Gesprächen mit ihr und ihren Bildern zum Vorschein. Sie will als Muslimin kontinuierlich Brücken zu anderen Religionen schlagen, namentlich dem Christentum, indem sie nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame ins Bewusstsein rückt.

Ihr Handeln ist geprägt, ständig als Kulturbotschafterin zwischen zwei Welten, Orient und Oxident, Islam und Christentum, sie als Zahnärztin zwischen Schulmedizin und ganzheitlicher Medizin Verbindungen herzustellen, Bindungen zu festigen und Gemeinsames zu fordern.

Da geschieht Grenzüberschreitung und im allumfassenden Sinne komplementäre Bewegung.

[...]

So ist es auch zu verstehen, wenn sie von ihren inneren Bildern spricht, die einen Rhythmus haben – wie Musik. Sie sagt: "Das überträgt sich vom Pinsel auf die Leinwand; ich fühle mich frei, wie beim Tandemflug."

Sie lässt etwas geschehen, etwas, das wie das Blut kreist, das Blut, das buchstäblich in ihre Bilder einfließt. Austausch. Herzblut."

Hanne Tächl
Ehemalige Intendantin vom Kommunalen Kontakttheater Stuttgart anläßlich zur Finissage Blickwinkel
2009


"Und so strahlt auch ein Zweites in den Bildern Sidals für mich: Gleichzeitig strahlt etwas Unverfügbares, Unbegreiffliches, Unnennbares von den Bildern Nurhan Sidals. Gesichter und Augen, die sich in Blau auflösen, künden von einer Erkenntnis jenseits der sinnlichen Wahrnehmung – nahezu metaphysisch. Und so wundert es auch nicht, dass die in Gaziantep geborene Künstlerin sich auch schon frühzeitig mit der Mystik der Suffis auseinandersetzte. Insbesondere der persische Gelehrte, Mystiker und Dichter Dschalāl ad-Dīn ar-Rūmī und sein poetisches Hauptwerk Mathnawi inspirierten sie in ihrem Schaffen. Auch Rumis Philosophie kündet von einer gegenseitigen Liebe, die die Essenz für ein menschliches Miteinander bildet.Seit 1995 leidet Nurhan Sidal unter einer chronischen Bluterkrankung, was sich wesentlich auch auf ihr Schaffen auswirkte. Seitdem fing sie an mit ihrem eigenen Blut zu malen oder seitdem sie auch Transfusionen erhält, mit den leeren Blutbeuteln als Material für Collagen oder Installationen, wie ihr Werk „Blutbaum“. Blut, das wusste schon Mephisto zu sagen, ist ein ganz besonderer Saft. Sowohl in der Literatur des Morgen- als auch des Abendlandes heißt, dass im Blut das Ich des Menschen verankert ist. Wer über das Blut eines anderen verfügt, verfügt über sein Leben.

[...]

 

Heute hängen hier im K3 ausschließlich Acrylgemälde, die auch noch einer ganz besonderen Thematik folgen. In Rumis Philosophie, wie ich schon sagte, ist die Liebe die Essenz. Gott ist Liebe, Liebe ist Gott. Und somit muss ganz gleich sein, welcher Religion oder Konfession ein Mensch angehört. Dadurch kommt auch die Unverständlichkeit zu tragen, warum Menschen aus vermeintlich religiösen Motiven Krieg führen. Religion, Ethnie wird hier zu einem Vorwand, um einander Gewalt zuzufügen. Eine Trennung wird zwischen den Menschen geschaffen, die eine künstliche, eine imaginäre Linie bildet – das ist eine Chimäre, eine Einbildung."

Jeffrey Döring
Regisseur LTT
Anlässlich der Veranstaltung
"Auf der Flucht... wohin?"

Vita

Dr. Nurhan Sidal

1951

geboren in Gaziantep/Türkei

1965 - 1968

Kunstunterricht im Gymnasium in Istanbul

1973

Staatsexamen für Zahnmedizin an der Universität Istanbul

1975 - 1978

Assistentenzeit als Zahnärztin in Deutschland

1979 - 2015

Selbständig in eigener Praxis in Trochtelfingen

1982 - 1985

Workshop im Atelier von Rolf Wernecke

1997

Promotion zum Doktor med. dent.

2006 - 2008

Workshop im Atelier von Mahmut Celayir

Einzelausstellungen

2009

"Blickwinkel" in Reutlingen

2014

Galerie LA CAPITALE, Paris

2015

„Die Zeit des Umbruchs“ in Trochtelfingen

2016

„Unterwegs..Wohin..“ in Rottenburg am Neckar

2017

„Auf der Flucht…Wohin?“ in Winterlingen

Gruppenausstellungen

2010

Beteiligung an der Ausstellung "Zeit / Raum", Bad Urach

2010

Beteiligung an der Ausstellung "Dialog der Linien", Efringen-Kirchen

2010

"auf augenhöhe", Sonnenbühl

2011

"trace di vita", Maccagno - Italien

2012

Beteiligung und Organisation Benefizveranstalung "Kunst ist Leben - Leben ist Kunst", Gammertingen-Harthausen

2014

Beteiligung und Mitorganisation "Kunst im Tuffsteinkeller, Lichtenstein-Honau

Projekte

1998-2015

Kunstgalerie in eigener Praxis und div. Ausstellungen für die zeitgenössische Kunst

2012

Organisation der Benefiz-Kunstauktion „Kunst ist Leben-Leben ist Kunst“

2014

Kuratorin der Kunst im Tuffsteinkeller in Lichtenstein

Diverse Werke befinden sich in privatem und öffentlichem Besitz.